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                       12. Athosreise 30.12.2000 - 2.1.2001

                            "1000 Jahre sind wie ein Tag"

 

Drei Übernachtungen auf dem Heiligen Berg gewährt das Diamonitírion dem Pilger. Nur zweimal habe ich dieses Limit eingehalten und mir keine offizielle Verlängerung besorgt bzw. den Aufenthalt nach einer persönlichen Einladung in einem Kloster oder Kellion verlängert: das erste Mal bei meinem allerersten Besuch 1988 und das zweite Mal eben bei dieser 12. Reise, die trotz ihrer Kürze nicht an intensiven Erfahrungen mangelte.

Bereits vor dem Abflug am 28. Dezember in München gab es die ersten Turbulenzen: ich hatte daheim mein Ticket vergessen, bekam aber gegen eine Gebühr von 120 DM ein Ersatzticket ausgestellt. Nach Flug und Busfahrt endlich in Ouranoupolis angekommen, erfuhren wir - ich war wieder in Begleitung meines Sohnes Joachim - daß schon heute das Schiff wegen zu hoher See im Hafen liegen blieb und auch für morgen mit einem Ausfall der Fahrt nach Daphni gerechnet werden muß. Tatsächlich hieß es dann für die kleine Pilgergruppe am nächsten Morgen "No ship!". Die meisten blieben trotzdem unverdrossen aber frierend in der Nähe des Büros an der Uferpromenade. Tatsächlich kam bald darauf die Meldung, daß "perhaps" ein Karavi auslaufen wird, doch bald schon hieß es unmißverständlich: "Avrio!!" - morgen - und "today hundred percent no!". Letzte Mitteilung wurde allerdings noch auf "ninetynine percent" herunterkorrigiert, wobei wir aber auf dieses eine Prozent Hoffnung nicht vertrauen wollten und für den Rest des Tages andere Pläne schmiedeten. Ich nutzte die freie Zeit für eine Busfahrt nach Ierissós, um zum letzten Mal D-Mark in Drachmen zu wechseln. Bei meiner Rückfahrt sah ich, wie sich gerade das Schiff Richtung Athos zum Auslaufen rüstete, aber da das Pilgerbüro, längst geschlossen hatte und wir noch kein Diamonitirion hatten, mußten wir ihm diesmal hinterherschauen.

Bei optimalem Wetter gab es tags darauf keine Probleme, wir bekamen sogar unser Diamonitirion um einen Tag vordatiert, was eine weitere Nacht auf dem Athos ermöglichte. Wir hatten uns viel vorgenommen: nach einer Übernachtung in Nea Skiti wollten wir den Athos besteigen und dort die Sylvesternacht - den Jahrtausendwechsel! - in der Gipfelkapelle verbringen. Ein Besuch in Megistis Lavras und Xiropotamou sollte die Reise abrunden. Leider gab es in Daphni kein Boot mehr hinunter nach Nea Skiti und wir mußten uns wohl oder übel zu Fuß auf den Weg machen. Um den Weg wenigstens etwas abzukürzen, erkundigte ich mich nach einem Fahrzeug nach Simonos Petras und bekam diesmal auf Anhieb eine verläßliche Auskunft: "Follow the crowd!". Tatsächlich fanden wir noch Platz in einem Kleinbus und hatten sogar das Glück, daß die Fahrt umsonst war. Völliges Unverständnis riefen wir allerdings nach der Ankunft in Simonos Petras beim Fahrer, einem jungen Mönch, hervor, als wir unsere Rucksäcke schulterten  und anstatt den anderen durch das Klostertor zu folgen, unsere Schritte hinab Richtung Nea Skiti lenkten.

Eine nicht auskurierte Bronchitis erschwerte den Weg nicht wenig, und als wir nach viereinhalb Stunden an unserem Ziel ankamen war mein Bedarf an Athoswanderungen für diesmal eigentlich schon gedeckt. Doch die gewohnt herzliche Aufnahme bei Vater Nikon - welcher deutsche oder österreichische Athospilger kennt ihn nicht!? - gab neue Kraft. Nach dem Besuch der Göttlichen Liturgie am anderen morgen machte er rasch noch mit einer kleinen Pocketkamera einige "secret photos" von seinen Mitvätern, versorgte uns mit reichlich Proviant und verabschiedete uns schließlich Richtung Athosgipfel.

Der Aufstieg verlangte die Mobilisierung meiner letzten Kraftreserven: Erst jetzt spürte ich, wie sehr meine Kondition durch die Infektion gelitten hatte; ich quälte mich Schritt für Schritt aufwärts. Endlich an der Panagia-Kapelle angekommen, mußte ich unbedingt eine Pause einlegen: während Joachim allein weiterging, um vielleicht noch einen Blick über die Halbinsel zu erhaschen, legte ich mich in den Übernachtungsraum, um ein wenig auszuruhen. 20 Minuten etwa lag ich so, mehrmals kurzzeitig in einen unruhigen Schlaf fallend, aus dem mich die Kälte immer wieder herausriß. Ein nicht gekanntes Gefühl von Einsamkeit und Angst überfiel mich, so daß ich mich endlich aufraffte, um die letzte Etappe zum Gipfel noch zu packen. Es dunkelte rasch, Nebel kam auf und der Boden war mehr und mehr mit Schnee bedeckt. Mit der Taschenlampe - es war inzwischen dunkel geworden - suchte ich die jeweils nächste Markierungstafel, um den Weg nicht zu verfehlen. Inzwischen peitschte mir ein scharfer Eisregen ins Gesicht. Ich hatte kein Gefühl mehr, wie weit ich noch vom Gipfel entfernt war. Da wir vereinbart hatten, daß Joachim nach Erreichen der Gipfelkapelle mir wieder entgegen käme, um mir meinen Rucksack abzunehmen, hielt ich immer wieder inne, um in die Nacht hineinzurufen. Fiebernd lauschte ich auf Antwort, bildete mir ein, etwas zu hören, doch es war nur der Sturm, der sein Spiel mit mir trieb. Nach meiner Berechnung hätte er längst oben angekommen sein müssen, um nach Abstellen des Rucksacks mir wieder entgegen zu kommen. Väterliche Sorge und das Wissen um seine bergsteigerische Erfahrung konkurrierten miteinander. Endlich dann der Lichtkegel seiner Stirnlampe! Ich war schon bis auf zehn Minuten an das Ziel herangekommen. Die oberste Gipfelregion war vollständig eingeschneit, und Joachim hatte erst etliche Tritte in den vereisten Schnee schlagen müssen, um ganz hinauf zu gelangen. Acht Stunden waren seit unserem Aufbruch in Nea Skiti vergangen!

Nach dem Wechseln der nassen Kleidung und einer Stärkung aus Vater Nikons Provianttüte richteten wir uns mit den klammen Decken, die in der Kapelle bereit lagen, den mitgebrachten Isomatten und Schlafsäcken ein Nachtlager ein. Trotz der Erschöpfung fanden wir keinen Schlaf, die Kälte des Steinbodens drang durch und durch. Draußen nahm der Sturm an Heftigkeit zu und ein Gewitter kam auf. Wir hatten einige Teelichter angezündet, die wenigstens eine Illusion von Wärme und Geborgenheit hervorriefen. Mitternacht - das neue Jahrtausend brach an. Mit den Mobiltelefonen wurden einige SMS verschickt. Noch war das neue Jahr erst wenige Minuten alt, da schlug mit einem furchbaren Schlag ein Blitz in die Kapelle ein, grünes Licht waberte über den nassen Steinboden, um sich als letzter Rest der elektrischen Energie im Gestein zu verlieren, ohne uns Schaden zuzufügen. Der Sturm hatte seinen Höhepunkt überschritten, flaute in den Stunden bis zum Morgen, den wir mehr oder weniger schlaflos herbeisehnten, ab und ging in leichtes Schneetreiben über. Als es gegen 8 Uhr halbwegs hell war, packten wir unsere Sachen zusammen, natürlich war während der Nacht nichts getrocknet, und traten den Abstieg zur Lavra an. Das wenige Trockene, das wir auf dem Leib trugen war in Kürze wieder durchnäßt, denn als wir wieder bis in etwas wärmere Regionen abgestiegen waren, setzte ein Regen ein, der bis Erreichen der Lavra, nach fünfeinhalb Stunden, nicht endete: Die von früheren Bergtouren bewährte Spezialkleidung kapitulierte regelrecht vor diesen Himmelsgüssen, das Wasser suchte sich seinen Weg gemäß dem Gesetz der Schwerkraft den Körper entlang von oben nach unten, so daß es schließlich bei jedem Schritt über den Schaft unserer Trekkingstiefel herausspritzte. Jedes Stehenbleiben hätte die sofortige Auskühlung bedeutet. So schritten wir kräftig aus, um warm zu bleiben, trotzten Schneefeldern und Schlammlöchern auf dem von Wildschweinen oft arg zugerichteten Pfad rund um die Südflanke des Athos. Als wir das Gatter erreichten, von dem aus sich der Blick hinunter nach der Skiti Prodromou öffnet, mobilisierten sich die letzten Kräfte: Nur noch eine Stunde, dann hat die Qual ein Ende!

Der Archondáris in der Lavra empfing uns athosgemäß mit Kafedáki, Tsípouro und Loukoúmi und heizte uns sofort ein Zimmer, das wir allein bewohnen konnten. In das zum Jahreswechsel neu angelegte Gästebuch schrieben wir uns als erste ein. Zwar fanden sich in den Rucksäcken noch einige halbwegs trockene Sachen (die wir in Plastiktüten verstaut hatten), doch mußten wir in der (Gott sei Dank!) relativ kurzen Vesper noch einmal kräftig frieren, bis wir uns endlich in der Trapeza stärken konnten. Wieder auf dem Zimmer, gelang es durch ein differenziertes Auf-, Ab- und Umhängen unserer Kleidung am feuerspeienden Ofen tatsächlich, bis zum Einschlafen eine Garnitur Wäsche und Oberbekleidung sowie das Schuhwerk soweit zu trocknen, daß es über Nacht, in der wir wie die Bären schliefen, am langsam erkaltenden Ofen noch die letzte Restfeuchtigkeit verlor.

Nur ein weiterer Reisender begleitete uns  am nächsten Morgen auf der Fahrt im Kleinbus nach Karyes, was den Anteil am Fahrpreis enorm in die Höhe trieb. In Karyes herrschte trübe, depressive Stimmung: verschrobene Gestalten, bettelnde Katzen, einige verkrüppelt, weil von Autos angefahren, ein mißmutiger Tavernenwirt, der nichts Eßbares verkaufen konnte oder wollte. Wir beschlossen, auf die weitere Nacht in Xiropotamou zu verzichten, heute noch auszureisen und malten uns aus, wie es sein wird, schon am Abend in einem warmen Lokal in Thessaloniki zu sitzen.

In einem kleinen Laden möchte ich noch einige Komboskini kaufen. Der Ladeninhaber, ein gutmütiger, behäbiger Mönch sitzt an einer Nähmaschine und bearbeitet ein Stück Stoff. Als ich mich aus einer Pappschachtel bedient hatte, unterbricht er seine Arbeit, geht hinter die Theke und bedeutet mir, daß ich die zwei Komboskini auf den Ladentisch legen soll, was ich zusammen mit einem Geldschein tue. Sorgfältig schneidet er aus einem farbigen Bogen Papier ein kleines Quadrat aus, legt die Ware darauf und faltet liebevoll ein kleines Päckchen, das schließlich mit Tesafilm verschlossen wird. Jeder einzelne Handgriff geschieht langsam, ja mit Würde. Das Verpacken meines Kaufes erledigt er mit derselben Hingabe wie das Nähen seines Tuches. Immer noch wortlos händigt er mir dieses kleine Kunstwerk zusammen mit dem Wechselgeld aus. Meinen Gruß beantwortet er mit einer angedeuteten Verbeugung, genauer mit einem langsamen einmaligen Nicken des Kopfes, leicht schräg gehalten, dann kehrt er an seine Nähmaschine zurück und setzt seine Arbeit fort. An einem Ort, der sich selbst "heilig" nennt, war es in dieser trostlosen Stunde die einzige menschliche Begegnung, die diesem Anspruch genügte. Als wir (endlich) im Bus saßen und schließlich den Höhenrücken überquerten, begrüßte uns auf der Südostseite der Athoshalbinsel plötzlich strahlender Sonnenschein. Mein spontaner Vorschlag, diesen sonnigen 2. Januar doch noch in Xiropotamou zu bleiben fand jedoch keine Mehrheit.

Warum das Fährschiff nach mehreren Ab- und Anlegemanövern dann noch einmal vom Kloster Panteleimonos nach Daphni zurückkehrte, bevor es endgültig nach Ouranoupolis ausfuhr, wird ein Geheimnis des Athos bleiben. Im Land wo tausend Jahre wie ein Tag sind (Wie es im Titel eines Athosfilms des SDR steht), spielen solche Probleme auch keine Rolle, und was bedeutet schon ein Jahrtausendwechsel dem Asketen, der die Ewigkeit in Gott ersehnt?

Der Tag und unsere Reise endete an diesem lauen Vorfrühlingsabend unter freiem Himmel in einer Taverne in Thessaloniki. Bei einer Karaffe Retsina kehrten wir im Gespräch noch einmal an die Stationen dieses denkwürdigen Besuches auf dem Heiligen Berg zurück.

 

 
     
 

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